
Eva Weyl hat mit ihrer Familie den Massenmord an Juden durch die Nazis im niederländischen Konzentrationslager Westerbork überlebt und heute vor etwa 180 Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 8 und 9 davon erzählt.
Zunächst begrüßte Schulleiterin Benedikte Hermann Frau Weyl und wies darauf hin, dass es nur noch wenige Zeitzeugen gibt, die von der Verfolgung durch die Nationalsozialisten berichten können.
„Ich möchte euch zu Zweitzeugen machen, damit sich etwas wie Auschwitz nie wiederholen kann!“. Mit diesem Appell begann die heute 84-Jährige von der sechsjährigen Eva aus dem Jahre 1942 zu berichten. Damals musste sie mit ihren Eltern, die mit ihr bereits 1933 vor den Nazis von Kleve in die Niederlande geflohen waren, unversehens in das Sammellager Westerbork „umziehen“. Für eine Sechsjährige zunächst einmal recht spannend und zunächst erweckte auch vieles den Anschein von Normalität. Dafür sorgte Lagerkommandant Albert Gemmeker, dessen perfide Taktik es war, den Lagerinsassen den Anschein von Normalität zu vermitteln, um sie dann möglichst ohne Probleme in die Vernichtungslager im Osten des Reiches abtransportieren lassen zu können. So durfte die kleine Eva sogar eine Schule im Lager besuchen, die Eltern bekamen Arbeit in den Fabriken des Lagers und am Sonntag gab es gar freie Zeit für Geselligkeit. In Westerbork gab es sogar einen Bürgermeister und ein Orchester. Die Lagerinsassen führten Revuen auf, die der Lagerkommandant stolz präsentierte. Eine Fassade, die es Gemmeker erlaubte, jeden Dienstag mit einem Federstrich tausend Menschen deportieren zu lassen. Ein Schreibtischtäter, der mit seiner Geliebten in einer Villa mit Blick auf das Lager wohnte und der später behauptete, nicht gewusst zu haben, dass die von ihm Deportierten ermordet wurden. Als Eva Weyls ganze Familie ebenfalls deportiert werden sollte, rettete sie die Bombardierung des Lagers durch kanadische Flugzeuge.
Die Schülerinnen und Schüler verfolgten gebannt den Vortrag der Zeitzeugin und viele waren sehr erstaunt darüber, dass Frau Weyl vor einiger Zeit zufällig den Urenkel des damaligen Lagerkommandanten kennengelernt und in der Folge den Kontakt zu dessen Familie gesucht hat. Ein kurzer Filmausschnitt aus einer neuen niederländischen Dokumentation über den Lagerkommandanten Albert Gemmeker zeigt seine Enkelin in der Villa ihres Großvaters, von der aus er „wie ein Fürst über die Menschen im Lager herrscht“. Sie empfindet es als belastend und befreiend zugleich, über ihren Großvater zu sprechen. „Unfassbar, wie man dort glücklich sein konnte und wie er planvoll geholfen hat, die Tötungsmaschinerie durchzuziehen.“ Aus dieser Begegnung mit der Enkelin Anke Winter ist eine Freundschaft entstanden, die zeigt, dass Frau Weyl ihre Botschaft an die Schüler selbst lebt. Ihr ist es besonders wichtig, dass auch Schüler der heutigen Generation das Geschehene nicht vergessen und aktiv die Welt verbessern, damit Gräueltaten wie der Holocaust nie wieder passieren. „Ihr habt keine Schuld am Vergangenen, eure Eltern und Großeltern haben keine Schuld am Vergangenen, aber ihr habt Verantwortung für die Zukunft“.
Am Ende ihres Vortrages nutzen viele Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, Fragen zu stellen, und auch als die meisten schon den Saal verlassen haben, kommen einige zur Bühne, um sich bei Frau Weyl zu bedanken oder auch um weitere Fragen zu stellen. Geduldig beantwortet sie alle Fragen, um dann weiterzuziehen. Schon in der nächsten Woche stehen fünf weitere Schulen auf Eva Weyls Programm, an denen die nächsten Schüler zu Zweitzeugen gemacht werden.
Uwe Weskamp