Zu den Themen des Zentralabiturs in Erziehungswissenschaft gehört die Pädagogik Maria Montessoris. Die italienische Ärztin und Reformpädagogin (1870 – 1952) sah sich als Anwältin der Kinder und wollte, dass Erzieher nach dem Leitspruch handeln „Hilf mir, es selbst zu tun!“ Sie entwickelte ein Bildungskonzept, das in speziellen Montessorischulen umgesetzt wurde und wird.
Als sich die Schülerinnen des Leistungskurses Erziehungswissenschaft aus der Q 2 mit dem Modell Montessoris auseinandersetzten, kam ihnen besonders ein spezielles Kennzeichen der Montessorischulen seltsam vor: die Freiarbeit. In einer vom Lehrer vorbereiteten Umgebung, bei bewusster Auswahl der Lehrmaterialien, kann der Schüler frei und eigenständig erarbeiten, was ihn gerade interessiert. Da er seinen Neigungen gemäß lernen kann, wird er ruhig und konzentriert arbeiten und gute Ergebnisse zeigen. Die Krupp-Schülerinnen waren äußerst skeptisch: Ist es wirklich möglich, in der Schule über einen längeren Zeitraum ohne Druck intensiv zu arbeiten? – Das konnten sie sich nicht vorstellen.
Es lag also nahe, eine Montessorischule zu besuchen, sich den Unterricht anzuschauen, mit Schülern und Lehrern zu diskutieren und zu überprüfen, wie Theorie und Praxis zusammenpassen.
Da unsere Partnerschule in Nijmegen (NL) ein Montessori College ist, bot es sich an, die Praxiserfahrungen dort zu machen. Also machte sich Heike Kirstein mit ihrem Leistungskurs am Montag, den 17.11.2014, auf den Weg nach Holland, wo sie vom Deutschlehrer Stijn Heusschen erwartet wurde. Zunächst schauten sich die LKler eine sogenannte Beschäftigungsstunde an, in der Schüler verschiedener Jahrgänge sich mit unterschiedlichen Materialien völlig selbstständig zum Thema „Deutsch“ auseinandersetzten. Jeder Schüler hat ein „Programm“, das er in einem Vierteljahr schaffen muss und das dann auch in einer schriftlichen Arbeit abgeprüft wird. Wann er was erledigt und wie intensiv er sich mit dem Stoff beschäftigt, das entscheidet er selbst. Der Lehrer steht zur Verfügung, wenn er gebraucht wird, drängt sich aber nicht auf.
In der Besuchsstunde hat z.B. eine Schülerin mit Stijn Heusschen ihre letzte Klassenarbeit besprochen, andere lernten Vokabeln über eine App auf dem Smartphone, machten Grammatikübungen in einem Übungsheft, schauten einen deutschen Film auf einem Laptop an, lasen ein Buch und zwei Schüler schrieben sogar einen Test, dessen Bewertung mit ins Abitur eingeht. Die Schüler konnten im Klassenraum oder auf dem Flur arbeiten. Die Atmosphäre war sehr offen und locker. Schüler, die sich mit unterrichtsfremden Dingen beschäftigten, wurden nur wenig bis gar nicht ermahnt. Für ihren Fortschritt sind sie ja selbst verantwortlich. So konnten die LK-Schüler dann auch sehr unterschiedliches Engagement bei den jungen Niederländern beobachten. Die Frage nach der Effektivität der Freiarbeit konnte also nicht eindeutig geklärt werden.
Im weiteren Verlauf des Besuchs wurde der LK sowohl von Schülern als auch von Lehrern durch die wunderschöne, neue Schule geführt und mit diversen Besonderheiten bekannt gemacht. Immer wieder war ein leicht neidvolles „Das hätte ich auch gerne!“ oder „Warum ist das bei uns nicht so?“ zu hören.
In den Diskussionen stellten die LKler fest, dass die Montessori-Schüler nicht besonders vertraut waren mit der Theorie Maria Montessoris: „Wir wissen ja viel besser Bescheid als die!“ Die Lehrer konnten verdeutlichen, dass es gar nicht darum geht, die Theorie bis ins Detail zu kennen. Montessoripädagogik soll in die Praxis umgesetzt und gelebt werden. Und dieser Unterschied zu einer herkömmlichen Schule war klar erkennbar.
Am Ende des Tages freuten sich die Krupp-Schülerinnen über die interessanten Erfahrungen, die sie am Montessori College in Nijmegen machen konnten. Wenn diese Inhalte für die Zentralabiturklausur wiederholt werden müssen, wird durch den Praxisbezug manches sicher leichter von der Hand gehen als beim Lernen anderer Inhalte. Und wenn eine Diskussion zu dieser Problematik ansteht, werden die persönlichen Eindrücke sicher hilfreich sein.
Heike Kirstein